Die Bücher von Barbara G. Walker sind herrliche Literatur, auch wenn die Autorin in ihrer Berufung als Feministin manchmal die Wirklichkeit zugunsten der Frauenthemen und eines Matriarchat-Mythos etwas zurechtbiegt, wie selbst von ihrer Zielgruppe inzwischen erkannt wurde. Dennoch kann man ihre Literatur offenen Menschen und auch Männern durchaus empfehlen, denn vieles ist gut recherchiert und bietet alternative Sichtweisen. Als ich sah, dass Walker ein „I-Ging“ der Göttin“ auf dem Markt hat, war ich natürlich sehr interessiert, denn erstens sammle ich spezielle Orakel und zweitens war das I-Ging eines der ersten Orakel mit denen ich in meiner Jugend experimentierte. Zwar fand ich den Zugang nie, aber die damals geworfenen Hexagramme trafen die Dinge immer genau auf den Punkt. Also bestellte ich mir das Kartendeck gebraucht via den USA, da es – wie vieles – nicht mehr neu aufgelegt wird und den deutschsprachigen Markt sowieso nicht erreichte…
Und ich bin positiv überrascht, denn das „I Ching of the Goddess“ schafft es tatsächlich, basierend auf der älteren Fu Hsi Variante, einen guten Brückenschlag hinzulegen und die östliche mit der westlichen Denkweise gut zu verbinden und so selbst mir zugänglich zu machen.
Walker zeigt – unter Einbezug der I-Ging-Historie – Unstimmigkeiten in der jüngeren King Wen Variante auf und anhand der Vergleiche und Argumente, macht die ältere Hexagramsortierung und Deutung alleine schon mathematisch ziemlich nachvollziehbar Sinn. Zumindest für einen Laien wie mich.
Wie weit Walker in ihrem hergestellten Bezug zur Göttin und den daraus resultierenden Interpretationen die Wirklichkeit dehnte, kann ich nicht beurteilen, doch da sie für einmal durchaus auch die Wichtigkeit des Männlichen so in den Mittelpunkt stellt – und hier finden wir eines der herausragendsten Merkmale dieses Decks: die perfekte Balance im Kern, Ying und Yang, der schöpferische Prozess,… – denke ich, dass sie sich doch sehr an das alte System hielt.
In manchen Arealen jedoch lässt das Buch zu wünschen übrig. So geht sie nicht gut genug auf die heute übliche Interpretation der Wechsellinien ein, angeblich, da diese erst im King Wen System in dieser Art eingeführt wurde und in der Fu Hsi Deutung nicht in dieser Form praktiziert wurde. Sie erklärt es plausibel, und dennoch sind gerade heute die meisten Menschen den Umgang mit diesen Wechsellinien gewohnt. Ich muss präzisieren: natürlich gibt es auch hier quasi das Spiegelbild im zweiten Hexagram, basierend auf den Bruchlinien, doch eben die einzelnen Linien werden nicht wie gewohnt interpretiert.
Das Begleitbuch liest sich hervorragend und ist sehr spannend geschrieben, durch den Vergleich und die Nennung westlicher Gottheiten, stellt sich für mich rasches Verständnis ein und ich kann mich an guten Bezugspunkten orientieren. Und das Wichtigste: ich verstehe das Fu Hsi System leichter als das populärere und komplexere King Wen.
Gearbeitet habe ich – wie mit vielen Sammelstücken – noch nicht mit diesem Deck. Aber ich werde sicher das Buch fertiglesen, denn endlich verstehe ich ein I-Ging-Werk relativ leicht und es bringt mir die Philosophie dahinter gut bei. Und das auf englisch. Und es ist – so oder so – inspirierend. Jedenfalls macht es mich an, auch wieder ein bisschen experimentell und spielerisch darauf zuzugreifen. Für die ernsthaftere Beschäftigung bleibe ich bei den Runen, deren Mysterien auch in Zukunft vertiefend zu ergründen mir näher liegt.
Ich habe jedenfalls Freude an diesem Sammlerstück.